Digitaler Raum
»Deltabeben – Regionale«
2 Dezember 2020 – 24 Januar 2021
In Kooperation mit der Kunsthalle Mannheim und dem Port 25 – Raum für Gegenwartskunst
In den drei beteiligten Institutionen werden insgesamt 29 Künstler*innen, die aus allen Teilen der Region zwischen Mannheim, Mainz, Heidelberg und Karlsruhe kommen, ausgestellt. Im Mannheimer Kunstverein sind vertreten: Petra Arnold, Doris Erbacher, Alice Glagau, Marie Gouil, Ann-Kathrin Krächan, Maria Kropfitsch, Rainer Negrelli, Grit Reiss, Rahel Sorg und Silvia Szabó.
Petra Arnold
Die Künstlerin Petra Arnold ist eine genaue Beobachterin. Mit ihren Bildern erzählt sie die Geschichten der Menschen, die immer im Fokus ihrer Arbeit stehen. Offen, neugierig und ohne zu werten begegnet die Wahlmannheimerin Menschen aus ganz unterschiedlichen Milieus. Die im Rahmen des Deltabebens 2020 gezeigten Arbeiten sind ein Ausschnitt einer Fotodokumention über den Zirkus Starlight der Familie Fischer, den sie seit über zehn Jahren fotografiert. Die analog entstandenen Schwarzweißfotografien richten den Blick bewusst hinter die Scheinwerfer der Manege. Die Bilder sind Zeitdokumente und gleichzeitig ein Verweis auf das allmähliche Verschwinden der traditionellen Zirkuskultur. Eine große Herausforderung für den Zirkus Fischer Starlight ist die aktuelle Corona-Pandemie; der Blick in die Zukunft ist ungewiss.
The Juggler, Giovanni – Auflage 8 + 2 AP | 40 x 60 cm, Blattformat 60 x 80 cm | Ilford Galerie FB Silver
Running Down A Dream, Kenya Lighteen – Auflage 10 + 2 AP | 30 x 45 cm, Blattformat 50 x 65 cm | Ilford Galerie FB Silver
Raumansicht, Foto: Adrian Helzel, MKV
Doris Erbacher
Doris Erbacher ist seit Jahren in der Rhein-Neckar Region verankert; sie lebt in Heidelberg und leitete von 1986 – 1991 den »Kunstraum Erbacher« in Mannheim, wo sie auch heute ihr Atelier hat. Zum Deltabeben zeigt der Mannheimer Kunstverein eine Serie kleinformatiger farbiger Zeichnungen sowie vier größere Arbeiten der Künstlerin. Seit über 20 Jahren arbeitet Doris Erbacher mit einer speziellen Technik des Aquarells. Ihr Umgang mit Farbpigmenten, die sie mit wässrigen Pinselzügen strukturiert, erzeugt zart differenzierte Farbflächen, die Raum und Tiefe suggerieren. Man muss nah an die Bilder herantreten, um die mit der Hand geführten weißgehaltenen Wasserlinien in ihrer Differenziertheit wahrzunehmen. Durch die bedacht geführte Hand, bekommen die Arbeiten einen fast meditativen Charakter. Sie können beim Betrachtenden Assoziationen an andere Materialitäten und Oberflächen, wie Stoff, Glas oder Stein wecken.
Raumansicht, Foto: Adrian Helzel, MKV
PHANTO 13, 30x40 cm, Aquarelltechnik auf Papier, 2020
CURVE 9, 30x40 cm, Aquarelltechnik auf Papier, 2020
Alice Glagau
Alice Glagau sagt über sich selbst, dass Sie ein »Wasserfaible« hat. Es ist das Lebendige, Wesenhafte, Reflektierende, das ihr Interesse weckt. Für das Deltabeben 2020 hat sie im Mannheimer Kunstverein über den Zeitraum von einer Woche ganze zwei Tonnen Jelly (Stärkepudding) gekocht und in Form gegossen. Die Rauminstallation „Derweil wird es Frühling“, die in Türkistönen in der Mitte des Raumes gewachsen ist, wird sich über die Zeit der Ausstellungsdauer allmählich verändern. Aus ihrer Schalung befreit, dehnt sie sich weiter in den Raum aus, bekommt Risse und trocknet aus. Das gallertartige Material, das bei einigen Ekel erregt und andere gleich zum Reinspringen verführt, verlangt nach einer haptischen Erfahrung. Wie in vielen ihrer multimedialen Arbeiten, setzt sich Alice Glagau, die an der Kunsthochschule Mainz studiert, auch hier mit persönlichen Erfahrungen, wie dynamischen Selbstbetrachtungen im Wechselspiel mit der Umwelt und dem Vergehen von Zeit und Materie auseinander. Derweil wird es Frühling ─ und was machen wir?
Diem carpen, 2020, Jelly (Speisestärke, Wasser, Lebensmittelfarbe), Zweikanaltoninstallation, Ausstellungsansicht Kunsthochschule Mainz, 2020
2 Raumansichten, Fotos: Alice Glagau
Marie Gouil
Die in Frankreich geborene und in Kaiserslautern lebende Künstlerin Marie Gouil arbeitet mit Textilien, welche sie oft auf Flohmärkten findet: ein altes Nachthemd, ein Unterkleid, Stoffe mit Spitzenbordüre aber auch Dessous, wie ein Slip oder ein Bustier. Gestärkt verlieren die Stoffe ihre haptische Sensibilität und in der Installation, die beim Deltabeben 2020 im Mannheimer Kunstverein hängt, scheinen sie schemenhaft im Raum zu schweben. Ihrem eigentlichen Kontext entzogen, entwickeln diese Objekte so ein Eigenleben. Auch als Druckstöcke setzt Marie Gouil die gefundenen Textilien ein: in Farbe getränkt oder als Reliefdruck zeichnen sich auf dem Büttenpapier die zarten Gewebestrukturen ab ─ jede Spitze wird sichtbar. In den Arbeiten setzt sich die Künstlerin mit Vergangenem auseinander; sie möchte Geheimnisse offenlegen, einer Wahrheit auf die Spur kommen und wieder von vorne anfangen.
Dessous, 2017, Materialdruck auf Büttenpapier, Foto: C. Bullinger
2 Raumansichten, Fotos: Adrian Helzel, MKV
Ann-Kathrin Krächan
Die in Landau in der Pfalz lebende Künstlerin Ann-Kathrin Krächan lernte während ihres Auslandssemesters 2014/15 in Fujian (China) die Technik der chinesischen Lackkunst, welche vor ca. 3500 Jahren ihren Ursprung fand, kennen. Diese Arbeitsweise des Kunsthandwerks gilt als sehr aufwendig und zeitintensiv, da jede einzelne Lackschicht nach ihrem Auftrag einem speziellen Trocknungsverfahren unterliegt und später geschliffen werden muss. Fasziniert von dieser Technik, importierte sie diesen besonderen Lack, welcher nur an wenigen Orten der Welt aus dem Lackbaum gewonnen wird und schuf eine Mischung aus dem traditionell asiatischen Handwerk und eigenem Freigeist. Das kostbare und selten gewordene Material steht dabei einer impulsiven und experimentellen Malweise gegenüber. Ann-Kathrin Krächan wählt für ihre Arbeiten bewusst keine Titel, um die Offenheit des Informel zu unterstreichen und den Betrachtenden einen eigenen emotionalen Zugang zu ihren Bildwelten zu ermöglichen.
Eigene Darstellung, Lack auf Holz, 2x 120x30 cm
Eigene Darstellung, Lack auf Holz, 3x 120x30 cm
Eigene Darstellung, Lack auf Holz, 3x 150x62 cm
Maria Kropfitsch
Maria Kropfitsch Figur befindet sich in einem geographisch nicht realen Raum.
„In meiner Arbeit beschäftigt mich die Leere, das Weiß, der Raum. Ich forsche im Unbewussten nach Bildern, reduziere, suche Archetypen, ein Zentrum. Ich suche nach Gefühlen, verallgemeinere sie. Ich forsche nach allen Aspekten eines Gefühls. Im Zentrum erscheinen Protagonistinnen, scheinbar bezugslos – in der sie umgebenden Leere. Vergleichbar mit einem Prozess des innerlichen Auftauchens archetypischer Bilder, die im Raum des persönlichen und sogar kollektiven Unbewussten schweben. Muss ein Zentrum eigentlich in der Mitte liegen? Oft erscheint das Tier - als Schatten, Begleiter oder Teil einer Psyche. Ich befrage mich selbst, aber nicht um eine Beantwortung zu finden sondern um einen Raum zu öffnen, in dem ein Betrachter eine eigene Resonanz und eigene Bilder finden kann. Weiß ist die Suche nach Möglichkeiten: nach der Farbe – und nach Körperlichkeit. In meinen Arbeiten beobachte ich das Auftauchen, den Moment des Gerade-Hierseins, den Augenblick bevor etwas zu einer gesicherten Existenz wird. Präsenz, Zeit und Raum sind für mich wichtige Konstanten. Wo und wie verorte ich mich? Wer bin ich, angesichts der eigenen Vergänglichkeit? Was bleibt von mir?“
ohne titel, 2018, 150 x 120 cm, Acryl auf Leinwand
ohne titel, 2018, 30 x 40 cm, Bleistift auf Papier
ohne titel, 2019, 40 x 30 cm, Bleistift auf Papier
Rainer Negrelli
Der Mannheimer Künstler Rainer Negrelli hat sich über die Jahre in seinen Zeichnungen und Malereien vielen Motiven gewidmet; von Mannheimer und Pariser Stadtarchitekturen zu südfranzösischen Wäldern. Immer wieder kommt die Faszination für die Form des menschlichen Körpers, die er selbst als die schönste und lebendigste Auseinandersetzung bezeichnet. Wie seine Freilicht-Architekturen und Landschaften, entstehen auch seine Aktzeichnungen, die im Fokus der Deltabeben 2020 Ausstellung im Mannheimer Kunstverein stehen, immer direkt vor dem Modell, oft in großen Ateliers an Orten, wo der Künstler länger lebte: Swansea, New York, Paris. Die Aktstudien sind Momentaufnahmen und Ausdruck von Negrellis Beobachtung von Licht- und Schattenwürfen, die er unmittelbar mit Tusche, Kohle- oder bunten Kreidestiften auf Papier bringt. Der Untergrund ist dabei so variabel wie das Zeichenutensil. Negrelli greift zu Materialien, die er in dem Augenblick gerade zur Hand hat. Das sind oft auch alte Bücher, Künstler- und Ausstellungskataloge, die er auf Flohmärkten oder auch im Mannheimer Kunstverein ergattert hat. Ursprüngliche Texte oder Bilder bezieht er dabei oft in seine Komposition mit ein und kommt so zu immer neuen künstlerischen Sichtweisen.
2 Raumansichten, Fotos: Adrian Helzel, MKV
Aktstudie, unterschiedliche Modelle, auf Buch- und Katalogseiten, 2002–2020, Foto: Silke Ksionsek
Wenn Sie mehr über Rainer Negrelli erfahren wollen, hier geht es zu einem Video des Künstlers in Paris.
Grit Reiss
Die Arbeit von der in Mainz lebenden Künstlerin Grit Reiss basiert auf der Beobachtung gesellschaftlicher Entwicklungen. Mit der Kamera untersucht sie, wie die Abbildung von Wirklichkeit unsere Wahrnehmung beeinflusst. Alltägliche Materialien werden Teil performativer Auseinandersetzungen und erlangen in der Inszenierung vor der Kamera symbolische Bedeutung. Die Fusionen von Körper, Material und inszeniertem Raum berühren, irritieren und bedürfen eines zweiten Blicks. Die Serie LOOKING FORWARD, die während des Deltabebens 2020 im Mannheimer Kunstverein zu sehen ist, hinterfragt inwiefern Fiktionen, die kollektives Handeln und Empfindungen beeinflussen, Teil der Realität sind und wie sich gegenwärtige Veränderungen auf das menschliche Wesen auswirken. In jeweils speziell dafür angefertigten Kulissen, performt Grit Reiss ein kopfloses Wesen, das in eine virtuelle Erlebniswelt eintaucht. Anstelle eines Kopfes sitzt ein Trichter, in dem eine schwarze kreisförmige Fläche mit ambivalenter Wirkung eingefügt ist. Das schwarze Loch scheint den Betrachtenden in das Innerste des Wesens zu führen. Die digitale Zeichnung führt ebenso den Blick aus der virtuellen Ebene auf die materielle Oberfläche des fotografischen Prints zurück, denn auch die räumliche Tiefe der Fotografie existiert lediglich imaginär.
La Petite Princesse aus der Serie LOOKING FORWARD, 2020, C-Print
Kaaah aus der Serie LOOKING FORWARD, 2020, C-Print
Lore Ley aus der Serie LOOKING FORWARD, 2020, C-Print
Rahel Sorg
Rahel Sorg zog 2013 für ihr Studium nach Mainz, wo sie seitdem lebt und arbeitet. Für ihre Malereien sucht sie sich immer wieder neue Untergründe, von Leinwänden und Textilien hin zu ganzen Wänden. Mit ihren Arbeiten nimmt die Künstlerin häufig Bezug auf ihre direkte Umgebung. Für das Deltabeben 2020 hat sie im Mannheimer Kunstverein eine fast zwölf Meter lange Wandarbeit vor Ort geschaffen, die bewusst mit Sehgewohnheiten bricht. An Graffiti erinnert, versucht man in den silberfarbenen Linien, die sich auch über ein lose an die Wand getackertes bemaltes Gewebe ziehen, einen Schriftzug zu erkennen und scheitert an der Decodierung. Die Künstlerin wirft so auch die Frage auf, warum es überhaupt so wichtig für uns ist, Bedeutung in allem zu generieren und zwingt uns Gewohntem, bereits Eingeordnetem neu zu begegnen. Was passiert, wenn wir statt eines Buchstaben nur noch zwei waagerechte Linien, gleich lang, übereinander und durch eine Diagonale vom rechten oberen Ende zum linken Anfang der unteren Linie wahrnehmen? „Schrift“ ist für sie ein Werkzeug, bewusst reduziert auf Bewegungen der Hand, die auf eine Fläche/einen Raum treffen und sie/ihn füllen.
ohne Titel, 2020, Wand, Sprühlack, Wandfarbe, Foto: Danijel Sijakovic
Zeitraffer, MKV
ohne Titel, 2020, Wand, Sprühlack, Wandfarbe 280cm x 910cm, Foto: Danijel Sijakovic
Silvia Szabó
Die Künstlerin Silvia Szabó, die 2012 ihren Abschluss an der Freien Kunstakademie Mannheim gemacht hat, beschäftigt sich in Ihren Arbeiten immer wieder mit dem Thema Körperlichkeit. Bereits in ihren früheren Performances wird das Publikum zum Teil des Werkes. In der Arbeit „Silvalley“, die beim Deltabeben 2020 im Mannheimer Kunstverein ausgestellt ist, geht die Künstlerin einen Schritt weiter. Mittels einer VR Brille lädt sie uns dazu ein zu Hauptakteur*innen in einer von ihr seit 2017 geschaffenen und seitdem stetig wachsenden virtuellen Welt zu werden. Aus unserer alltäglichen Realität in eine nahezu paradiesische Insellandschaft transportiert, können wir uns aktiv und frei bewegen – reale Erinnerungen in einer unrealen Welt machen. Das spannende ist, dass während wir sonst den eigenen Körper zur Verfügung haben um uns durch Ausstellungen zu bewegen, fehlt hier, bis auf die Hände, die mittels Controller sichtbar gemacht werden, jeglicher Hinweis auf die eigene Körperlichkeit. Anders als in Videospielen, wo man meist in einen Avatar schlüpft und als solcher Missionen erledigen muss, kann man sich hier, befreit von einem Körper bewegen und ohne bestimmtes Ziel die virtuelle, paradiesisch anmutende Welt mit Stränden, begrünten Hügeln und dichten Wäldern erkunden. Egal wie weit man geht, man trifft keine anderen Menschen. Und dennoch gibt es unzähligen Lebewesen wie Pflanzen, Fische, Wale und Flamingos.
Silvalley, Virtuell Reality Stills, 2017–2020
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